NGC 6960/92 - Cirrusnebel Info


 

Der Cirrusnebel

©Gerald Willems

 Es gilt heute als unbestritten, dass sich die Menschen auch vor mehr als 5000 Jahren mit dem gestirnten Himmel beschäftigten. Gerade die archäologischen Funde der letzten Jahre haben das eindrucksvoll bestätigt. Man denke nur an den bemerkenswerten Fund der Sternscheibe von Nebra. Als die Menschen also damals zum Himmel blickten, dürften sie eine Beobachtung gemacht haben, die für sie sicher nur mit göttlicher Fügung zu erklären war. Die Menschen damals konnten im Sternbild Schwan das Aufflammen eines Sterns beobachten. Die Helligkeit dieses Sterns war so groß, dass er auch am Tage sichtbar gewesen sein dürfte. Und des Nachts strahlte er so hell wie der Mond.

Was war geschehen? Nun, heute wissen wir, dass damals ein Stern am Ende seines Daseins in einer ungeheuren Explosion sein Leben aushauchte. In einer gewaltigen Supernova-Explosion schleuderte dieser Stern den größten Teil seiner Masse ins All. Dass wir davon überhaupt etwas wissen, liegt einzig und allein an dem Vorhandensein seiner Überreste. Die allerdings lassen uns heute einen Einblick in die Mechanismen des Werdens und Vergehens der Sterne nehmen, wie es sonst nicht möglich wäre. Im Sternbild des Schwans, Cygnus finden wir diese Überreste wieder. Sie bilden einen der eindrucksvollsten und schönsten Galaktischen Nebel, die wir kennen: den Cirrusnebel-Komplex, um den es hier gehen soll.

 Am 5. September 1784 entdeckte Wilhelm Herschel mit Hilfe seines 47,5-cm-Spiegelteleskopes die ersten Strukturen im östlichen Teilbogen des Cirrusnebels. Dieser Nebelbogen wurde als NGC 6992 in Dreyers NGC-Katalog aufgenommen. Zwei Tage später konnte er den westlichen Teil um 52 Cygni ausmachen. Als NGC 6960 wurde dieses Gebiet eingetragen. Noch in derselben Nacht konnte Herschel zwischen den beiden neu gefundenen Nebeln eine weitere Aufhellung feststellen, und zwar 2 Grad nordöstlich von 52 Cygni, den später als NGC 6979 eingetragenen mittleren Anteil des Cirrusnebel. Dieser Teil wird auch als “Pickering’s Triangular Wisp“ bezeichnet.
John Herschel, der Sohn Wilhelms, entdeckte schließlich im Jahre 1825 mit dem Teleskop seines Vaters den Teil, der direkt an den östlichen Bogen südlich anschließt. Als NGC 6995 wurde dieser Teil registriert.

 Dass wir heute so bedeutende Einzelheiten der Sternentwicklung kennen, liegt nicht zuletzt an den Überresten dieser Sterne. Das Ende ihres Daseins gestaltet sich bei Sternen in der Größe unserer Sonne verhältnismäßig unspektakulär. Sie wird sich eines Tages aufblähen und ihre Hülle abstoßen. Der verbleibende Rest wird als Weißer Zwerg noch lange überdauern.

Anders sieht die Entwicklung bei Sternen mit der mehrfachen Masse unserer Sonne aus. Bei der Supernova, die zur Entstehung des Cirrusnebels führte, (Supernova Typ II) muss es sich um einen sehr massiven Stern gehandelt haben, der ein Vielfaches der Sonnenmasse aufwies. Während einer unruhigen Brennphase begann dieser Stern zu pulsieren und stieß große Teile seiner Hülle ab. Während der Brennstoffvorrat immer weiter verbraucht wurde, konnte der innere Strahlungsdruck der Gravitation nicht mehr entgegen wirken. Schließlich kam es zum Kollaps. Der Stern brach in sich zusammen und explodierte daraufhin mit unvorstellbarer Wucht. Die Materie des Sterns wurde dabei in den Raum geschleudert und verteilte sich kugelförmig. Die großflächigen Hinterlassenschaften einer solchen Supernova werden daher auch treffend “Supernova-Überrest“ genannt. Wann dieser Stern nun tatsächlich sein Leben ließ, ist nicht ganz sicher. Die meisten Veröffentlichungen der Wissenschaft deuten darauf hin, dass es vor 5000 bis 10000 Jahren war. Manche Angaben beziehen sich allerdings auf ein Alter von bis zu 18000 Jahren. Der Stern, der damals explodierte, oder besser gesagt, das, was von ihm übrig ist, konnte übrigens bis heute nicht gefunden werden. Es ist anzunehmen, dass der Reststern, möglicherweise ein Neutronenstern, sehr nah bei einem der im Zentrum befindlichen anderen Sterne zu finden ist.

 Die feinen Filamente des Cirrusnebels haben ihm auch seinen Namen gegeben. Im Englischen wird er auch Veil-Nebula genannt, also Schleiernebel. Bei diesen feinen Filamenten handelt es sich um Stoßfronten. Die Überreste der Supernova breiten sich mit bis zu 600.000 Kilometern pro Stunde aus. Dort, wo sie mit dem Material der Umgebung zusammenstoßen, erzeugen sie Temperaturen von mehreren Millionen Grad. Bei diesen Temperaturen ionisiert das Gas; sobald es wieder abkühlt, rekombinieren die Elektronen und es kommt zur Emission von Licht. Je nachdem, um welches Gas es sich handelt, erfolgt diese Lichtemission mit verschiedener Wellenlänge. Die Farben in entsprechend gefilterten Aufnahmen stehen daher für die Atome, die durch die Stoßwelle angeregt wurden. D. Walsh und R. H. Brown vom Jodrell Bank Observatorium in England konnten sogar schwache Radiostrahlung nachweisen. Dass wir verschieden schwere Elemente in den Überresten der Supernova finden, ist durch die Supernova selber zu erklären. Dabei sind durch die enorme Explosion die leichten Elemente, wie Wasserstoff und Helium, zu schwereren Elementen verschmolzen. Natürlich wurden auch im Stern selber während seiner Entwicklung schwere Elemente erzeugt - ein Umstand, der, wie inzwischen allgemein bekannt sein dürfte, die Voraussetzung für Leben auf der Erde ist. Nicht einmal die Erde selber mit ihren festen Materieanteilen hätte es gegeben. Der Cirrusnebel macht uns dabei deutlich, dass vermeintliche kosmische Katastrophen erst die Voraussetzungen für die Entwicklung des Kosmos, wie wir ihn heute kennen, liefern.

 Die gemeinsam erscheinenden diffusen Regionen und die scharf abgegrenzten Filamente des Cirrusnebels kann man sich durch den Blickwinkel erklären, den wir in Bezug auf die Stoßfronten einnehmen. Ist eine Stoßfront mit ihrer Kante zu uns gewandt, so sehen wir diese mit den für den Cirrusnebel so typischen, scharf abgegrenzten Filamenten. Stoßfronten, die sich uns dagegen “face on“ zeigen, erscheinen diffus.

 Der Komplex des Cirrusnebels weist zurzeit einen Durchmesser von 3° auf. Der Vergleich mit der Größe von sechs aneinander gereihten Vollmonden macht diese Dimensionen deutlich. Die Entfernung zu uns dürfte zwischen 1300 und 2500 Lichtjahren betragen. Auch dazu sind gegenwärtig keine eindeutigen Angaben zu finden. Der gesamte Komplex dehnt sich mit etwa 0,06“ pro Jahr aus. Ganz im Osten könnte man meinen, der Nebel würde an dem Stern 52 Cygni vorbeidriften. Der 4,3 mag helle Stern steht übrigens im Vordergrund und hat mit dem Nebelgebiet keine Verbindung.

 Der Cirrusnebel wird uns noch einige zehntausend Jahre erhalten bleiben. Dann allerdings wird er sich mehr und mehr mit dem interstellaren Medium durchmischen. Irgendwann, an einem anderen Ort, könnten Teile des ursprünglichen Cirrusnebels an interstellaren Wolken zu neuen Materieverdichtungen führen, der Druck im Innern würde dann stetig wachsen und eines Tages könnte das atomare Feuer erneut zünden, so dass ein neuer Stern am Himmel aufleuchtet.

 Weitere Informationen sind unter den nachfolgenden Adressen zu finden:

http://www.astronews.com/news/artikel/2007/07/0707-044.shtml

http://deepsky.astronomie.info/Cyg/ngc6960/index.de.php

http://www.suw-online.de/artikel/896066&_z=798889

http://www.esa.int/esaSC/SEM2CHWUP4F_index_0.html
Die Animation unbedingt ansehen!!

 Etwas wissenschaftlichere Quellen lassen sich hier finden:
(Hier wird besonders auf die Natur der Stoßfronten eingegangen.)

http://www.journals.uchicago.edu/AJ/journal/issues/v129n5/204514/204514.html

http://www.journals.uchicago.edu/AJ/journal/issues/v118n2/990176/990176.html