Der Virgo-Galaxienhaufen II


Die Highlights des Virgo-Galaxienhaufens

©Gerald Willems

 Galaxienhaufen zeichnen sich meist durch eine gewisse Vielfalt ihrer Mitglieder aus. Ganz besonders aber im Virgo-Galaxienhaufen finden wir eine so große Anzahl bemerkenswerter Galaxien, dass ich die Idee hatte, besonders die markanten Vertreter dieser riesigen Galaxien-Ansammlung in einem Artikel vorzustellen. Darüber hinaus bescherte mir das Frühjahr 2010 eine ganze Reihe von ausnehmend guten Beobachtungsnächten, so dass ich zahlreiche Einzelgalaxien dieser Region selber fotografieren konnte.

 Im Mai 2007 gab es bereits ein AdM zum Virgo-Galaxienhaufen. Darin wurde diese riesige Ansammlung von Galaxien in ihrer Gesamtheit beschrieben. Hier möchte ich nun auf die Verschiedenheit der einzelnen Haufenmitglieder eingehen und es soll deutlich gemacht werden, wie lohnenswert Beobachtung und Fotografie in diesem engen Beieinander von Galaxien sind.

 In diesem ersten Teil möchte ich im Wesentlichen Messier-Galaxien behandeln. In einem zweiten Teil, der später erscheinen wird, sollen dann einige der bemerkenswerten Galaxien aus dem NGC angesprochen werden.

Der Aufbau des Virgo-Galaxienhaufens
Der Virgohaufen beinhaltet elliptische Galaxien, Spiralgalaxien und eine ausgesprochen große Zahl an Zwerggalaxien [1]. Die geringen Entfernungen zueinander sorgen im Haufeninnern zu deutlicher Wechselwirkung unter den Haufenmitgliedern. Es kommt zur Vereinigung eng stehender Galaxien, wobei die ursprünglichen Spiralstrukturen verloren gehen. Damit ist die Erklärung gefunden, warum große elliptische Galaxien besonders im inneren Bereich des Virgohaufens zu finden sind. Spiralgalaxien befinden sich deshalb deutlich vermehrt in den Außenbereichen.

 Der Zentralbereich wird von den großen elliptischen Riesengalaxien M 49, M 60 und M 87 gebildet, ohne dass ein eindeutiges Zentrum erkennbar ist. Diese drei Riesengalaxien stellen jeweils den Mittelpunkt dreier Untergruppen dar: im Zentralbereich Haufen A um M 87, im Süden Haufen B um M 49 und im Osten Haufen C um M 60. Sehr auffällig im Zentralbereich sind auch die beiden großen elliptischen Galaxien M 84 und M 86. Sie bilden den westlichen Anfang einer ganzen Anordnung von hellen Galaxien, die sich in einem geschwungenen Bogen nach Nordosten aneinander reihen, wobei das nordöstliche Ende von M 88 markiert wird. Diese Aneinanderreihung wurde nach ihrem Entdecker „Markarians Galaxienkette“ benannt.

 Messier 98 (NGC 4192)
Ein guter Einstieg zur Auffindung des Virgohaufens ist der 1,4 mag helle Stern Denebola (β Leonis) als östlicher Stern des Löwen. Von dort sind es noch etwa 5º in östliche Richtung, bis wir auf eine der besonders bemerkenswerten Galaxien des Virgohaufens stoßen, nämlich  Messier 98 (Abb. 1).

M 98
ist mit einer Flächenhelligkeit von 13,6 mag / Quadratbogenminute allerdings einer der eher lichtschwachen Kandidaten dieser Region [2]. Die beiden markanteren Objekte im Hintergrund sind übrigens NGC 4186 (370 Mio Lj) südlich und UGC 7223 (67 Mio Lj) südwestlich von M 98 (Abb. 3). Mit einer Entfernung von ca. 44 Mio Lj  steht uns M 98 deutlich näher als die meisten Vertreter des Virgohaufens. Ihre Ausdehnung erscheint uns mit 9,8’ x 2,8’ wobei ihre wahrer Durchmesser 126000 Lichtjahre beträgt. Interessant ist, dass M 98 eine auf uns zugerichtete Radialgeschwindigkeit von -116 km/s aufweist. Etwas, was als Grund für die deutlich geringere Entfernung angenommen werden dürfte. Die negative Radialgeschwindigkeit [3] macht auch die Dynamik innerhalb des Galaxienhaufens deutlich.

 M 98 gehört zu den so genannten LINER-Galaxien [4], die in ihren Kernbereichen schwach ionisiertes Gas enthalten. Anders als in vielen anderen Spiralgalaxien befinden sich hier heiße, junge Sterne nicht vornehmlich in den Spiralarmen, sondern in den inneren Regionen und sorgen dort für die Ionisation des dort vorhandenen Wasserstoffs.

M 99 (NGC 4254)
Gut ein Grad ostsüdöstlich von M 98 begegnet uns mit M 99 (Abb. 4) eine ganz andere Galaxie. Es ist der ausgeprägte einzelne Spiralarm, der hier sofort ins Auge fällt – er erinnert etwas an die große M 101 in UMa. Mit 66 Mio Lj hat M 99 eine typische Entfernung für Galaxien des Virgohaufens [5]. M 99 bewegt sich im Gegensatz zu M 98, die auf uns zufliegt, mit der sehr hohen Radialgeschwindigkeit von 2471 km/s von uns fort Es ist übrigens die höchste Fluchtgeschwindigkeit, die für ein Messierobjekt überhaupt ermittelt wurde [6].  

Die Asymmetrie dieser Galaxie wird offenbar nicht durch die Nähe der benachbarten Galaxien des Virgohaufens hervorgerufen, sondern durch neutralen Wasserstoff, der in großen Mengen in M 99 einfällt. Dieser neutrale Wasserstoff wurde durch Radioteleskopie nachgewiesen [7].

M 100 (NGC 4321)
Von M 99 aus müssen wir uns 1° 42’ weiter nach Nordosten begeben, um auf Messier 100 zu stoßen. M 100 (Abb. 5) ist eines der hellsten Mitglieder des Virgohaufens. Sie präsentiert sich uns in direkter Draufsicht und wird als eine Spiralgalaxie des Typs “grand design“´bezeichnet [8]. Obwohl M 98, M 99 und M 100 im benachbarten Sternbild Coma Berenices beheimatet sind, gehören all drei eindeutig dem Virgo-Galaxienhaufen an. Pierre Méchain entdeckte M 100 zusammen mit den vorab beschriebenen M 98 und M 99 im Jahre 1781. Die ausgeprägten Spiralarme gehören übrigens zu den ersten, die überhaupt an derartigen nebligen Objekten beobachtet werden konnten. Lord Ross hatte M 100 als einen von 14 Spiralnebeln bis 1850 entdeckt.

Die blaue Färbung in den beiden ausgeprägten Spiralarmen deutet auf starke Sternentstehung hin. Als Grund für diese erhöhte Aktivität kann man die nahen Nachbargalaxien, die mit ihrer Masse auf M 100 gravitativ einwirken, ansehen. Auch der innere Spiralarm weist eine ungewöhnlich hohe Sternentstehungsrate auf. Aufnahmen des HST und des 2,1m-Teleskops auf dem Kitt Peak zeigen diese Region deutlich (Abb. 6).

 Bisher konnten fünf Supernovae in M 100 beobachtet werden:

Im März 1901 eine Supernova vom Typ I mit 15,6 mag,

im Februar 1914 eine Supernova unbekannten Typs mit 15,7 mag,

im August 1959 eine weitere Supernova des Typs I mit 17,5 mag,

im April 1979 eine Supernova vom Typ II mit 11,6 mag, die ungewöhnlich schnell wieder verblasste, und schließlich im Februar 2006 eine Supernova vom Typ Ia mit 15,3 mag.

 Mit diesen drei Galaxien möchte ich den nordöstlichen Teil des Virgohaufens verlassen und wir begeben uns in den Nordteil.

M 91 (NGC 4548)
Ebenfalls in Coma Berenices, befindet sich M 91. Man geht davon aus, dass M 91 im Jahre 1781von Charles Messier selber entdeckt wurde. Unabhängig von ihm ist sie drei Jahre später von William Herschel beobachtet worden.

M 91
ist das Paradebeispiel einer Balkenspirale vom Typ SBb. Zwar ist sie mit einer Flächenhelligkeit von 13,7 mag pro Quadratbogenminute eine der lichtschwächsten Messier-Galaxien dieser Region, lang belichtete Aufnahmen zeigen ihre Strukturen aber deutlich – insbesondere den markanten Balken.

 Die Radialgeschwindigkeit des gesamten Galaxienhaufens wird nach G. Tammann mit

1179 km/s und nach J. Huchra mit 1404 km/s angegeben [9]. Daran gemessen bewegt sich

M 91 bei ihrer eigenen Radialgeschwindigkeit von nur ca. 458 km/s mit deutlich geringerer Geschwindigkeit als der gesamte Virgohaufen von uns weg [10].

M 88 (NGC 4501)
Etwa 50 Bogenminuten weiter westlich von M 91 stoßen wir auf M 88 (Abb. 8). Mit ihrer Flächenhelligkeit von 13,0 mag / Quadratbogenminute gehört sie zu den hellen Mitgliedern des Virgohaufens. Verfolgt man die geschwungene, nach Nordosten gerichtete Kurve von Markarians Galaxienkette (Abb. 1), so bildet M 88 einen Abschluss dieser Linie. Auch in diesem Fall war es Messier selber, der M 88 im März 1781 entdeckte [11]. Das Erscheinungsbild von M 88 ist äußerst symmetrisch. Die fein gegliederten Spiralarme bestimmen dabei das Gesamtbild dieser ausgesprochen schönen Galaxie vom Typ SAb. Die deutlich blaue Färbung dieser feinen Spiralarme deutet auf aktive Sternproduktion hin. Auch M 88 fällt mit einer ungewöhnlich hohen Fluchtgeschwindigkeit auf. Der Wert von  2279 km/s zeigt, dass sich diese Galaxie etwa doppelt so schnell von uns entfernt wie der Virgohaufen selbst [12]. Im Mai 1999 konnte in M 88 eine Supernova vom Typ Ia mit 16,4 mag beobachtet werden. Im Juni erreichte sie schließlich ihr Maximum mit 13,8 mag.

 M 90 (NGC 4569)
M 90 begegnen wir, wenn wir uns von M 88 aus etwa ein 1° 40’ in südsüdöstliche Richtung weiter begeben. M 90 vom Typ Sb ist mit 9,5’ x 4,4’ eine verhältnismäßig große Vertreterin dieser Region. Auch sie wartet mit einer Besonderheit auf. In ihren Spiralarmen scheint die Entstehung neuer, junger Sterne zum Erliegen gekommen zu sein – eine Erscheinung, die als “fossil“ bezeichnet wird.  Ausnahme ist offenbar nur die innere Region um den hellen Kern herum.

 M 90 entfernt sich von uns mit einer Geschwindigkeit von ca. 229 km/s. Berücksichtigt man die Radialgeschwindigkeit des gesamten Virgohaufens, so muss sich M 90 mit ca. 1000 km/s innerhalb der überwiegenden Gesamtzahl der Haufenmitglieder hindurch bewegen. Man kann dabei nicht außer Acht lassen, dass die Entfernungsangaben oft korrigiert worden sind. Das ist auch ein Grund dafür, dass die Zugehörigkeit von M 90 zum Virgohaufen umstritten war und noch immer ist [13].

 M 61 (NGC 4303)
Ich möchte jetzt einen riesigen Schwenk in südsüdwestliche Richtung auf eine der südlichsten Galaxien des Virgohaufens vollziehen, nämlich auf M 61 (Abb. 10). Auch M 61 ist eine der großen Galaxien des Virgohaufens. Messier, der ja eigentlich auf der Jagd nach Kometen war, hielt M 61 zuerst auch tatsächlich für einen Kometen. Zuerst entdeckt wurde M 61 aber sechs Tage zuvor, am 5. Mai 1779 von Barnabus Orani. Bei ihrem tatsächlichen Durchmesser von 100 000 Lichtjahren erscheint sie uns mit einer Ausdehnung von ca. 6 Bogenminuten.

M 61
ist eine der hellen Galaxien des Virgohaufens [14]. Die auffälligen abgewinkelten Spiralarme sollen auf Dichteschwankungen im Gaskörper der Galaxie zurückzuführen sein [7]. 1999 wurde der Kern der Galaxie genauer untersucht. Man hat einen jungen Sternhaufen in den inneren 10 Lichtjahren der Galaxie erkannt. Spektraluntersuchungen dieses Sternentstehungsgebiets weisen typische Emissionslinien junger Sternhaufen mit einem Alter von 2 – 3 Millionen Jahre auf [15]. Bis heute wurden sechs Supernovae mit Helligkeiten zwischen 12,0 mag und 14,8 mag in M 61 beobachtet.

 

M 87 (NGC 4486)
Wenn man schon kein eindeutiges Zentrum im Virgohaufen definieren kann, so gibt es dort dennoch eine alles dominierende Galaxie. Es ist die riesige elliptische Galaxie M 87. Bekanntheit hat diese Galaxie durch eine Aufnahme des Hubble-Space-Telskops (HST) erlangt. Dabei ist es der ausgeprägte Jet, der in keiner anderen Galaxie so deutlich zutage tritt und für die Wissenschaft von besonderer Bedeutung ist (Abb. 11). Im Zentrum dieser Riesengalaxie befindet sich ein superschweres Schwarzes Loch. Die Masse dieses Schwarzen Lochs wurde 2009 mit Hilfe von Computermodellen neu bestimmt. 6,4 Milliarden Sonnenmassen sollen demnach hier versammelt sein [16]. Um dieses Schwarze Loch herum rotiert eine Plasmascheibe (Akkretionsscheibe) mit Temperaturen von mehreren Millionen Kelvin. Die Rotation dieser Scheibe und intensive Strahlung sorgen für eine Ladungstrennung der Elementarteilchen, eine elektrische Spannung wird aufgebaut, so dass elektrische Ströme fließen können. Die daraus resultierenden Magnetfelder bündeln die heiße Materie und schleudern sie in Form eines Strahls zu beiden Seiten der Drehebene heraus. Mehr als 5000 Lichtjahre weit erstreckt sich der sichtbare, fast Lichtgeschwindigkeit erreichende Teilchenstrom von seiner Quelle aus in den Raum. Der erste Nachweis dieses Jets wurde übrigens von Herber Curtis erbracht. Im  Jahre 1918 konnte er auf tiefen Aufnahmen von M 87 diesen Jet erkennen [17].

 Die von uns abgewandte Seite dieses Strahls können wir nicht im sichtbaren Licht beobachten. Erst mit Hilfe von Radio- und Röntgenteleskopen ist es möglich, die Auswirkungen des von uns abgewandten Jets nachzuweisen. Dass es diesen schon länger vermuteten Jet auch auf der uns abgewandten Seite von M 87 gibt, konnte aber erst durch den Zusammenschluss mehrer Radioteleskope erkannt werden. Dazu wurden verschiedene Radioteleskope in den USA und Europa so vernetzt, dass die damit gewonnenen Aufnahmen 50-mal schärfer wurden als Aufnahmen mit dem HST [18].

 Wegen der starken Abstrahlung von Radiowellen wird M 87 auch als “Virgo A“ bezeichnet. M 87 ist die stärkste bekannte Radioquelle am Himmel. Einen weiteren Nachweis der großen Aktivitäten im Innern dieser Riesengalaxie liefert eine Aufnahme des Röntgenteleskops Chandra (Abb. 12).

 Auch wir Amateure stehen nicht ganz auf verlorenem Posten, wenn es um den Nachweis dieses Jets geht. Die Aufnahme des Autors (Abb. 13) zeigt diesen Jet deutlich.

Und noch etwas zeigt diese Aufnahme: bei genauer Betrachtung fallen winzige, helle, die gesamte Umgebung der Galaxie umhüllende Bereiche auf. Es sind Kugelsternhaufen, wie wir sie auch aus unserer Heimatgalaxie kennen. Während man etwa 200 Kugelsternhaufen in der Milchstraße nachweisen konnte, beziffert man die Anzahl für M 87 auf etwa 14000 [19], ein weiterer Hinweis auf die ungeheure Masse dieser Galaxie. Der Vergleich zu unserer Milchstraße macht es deutlich: ca. 200 Milliarden Sonnenmassen beziffert man für die Milchstraße, bei M 87 geht man von ca. 2 bis 3 Billionen Sonnenmassen aus. Auch wenn solche Zahlen immer mit etwas Vorsicht genannt werden sollten, so veranschaulichen sie uns dennoch die Größenverhältnisse.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass es innerhalb des Virgohaufens äußerst turbulent zugeht. Die teilweise hohen Differenzen der Eigengeschwindigkeiten der Haufenmitglieder machen das anschaulich. Die nachfolgende Tabelle zeigt die wesentlichen Daten dazu.

G. Tammann und J. Huchra hatten die durchschnittliche Radialgeschwindigkeit des gesamten Virgohaufens mit 1179 km/s bzw. mit 1404 km/s angegeben [9]. Wenn man nur aus den Daten dieser acht hier vorgestellten Galaxien einen Durchschnitt errechnet kommt man auf eine Radialgeschwindigkeit von 1236 km/s. Ein Wert, der sich gut mit den Angaben von Tammmann und Huchra deckt.

 

 

Galaxie

Flächen-Helligkeit [mag/□’]

Entfernung [MPc]

Typ

Radialgeschwindigkeit [km/s]

M 98

13,6

19

Sb

-116

M 99

13,2

16,8

Sc

2471

M 100

13,4

19,5

Sc

1617

M 91

13,4

16,8

SBb

485

M 88

13,0

19,4

Sc

2279

M 90

13,4

18,8

Sb

229

M 61

13,4

15,2

SABc

1568

M 87

13,0

19,7

E1

1307

 

Daten aus: “SIMBAD Astronomical Database”, Helligkeiten aus [7]

 

Hier möchte ich den ersten Teil zu den Highlights des Virgo-Galaxienhaufens beenden. Im zweiten Teil soll es um einige der Galaxien aus dem NGC gehen. Auch in diesem zweiten Teil sollen besondere physikalische Gegebenheiten der Haufenmitglieder betrachtet werden.