Markarians Galaxienkette
und der Virgo-Galaxienhaufen
Der Virgo-Galaxienhaufen ©Gerald Willems Der Sternenhimmel hat sich inzwischen von Winter auf Frühling umgestellt. Das schwache Band der Wintermilchstraße ist im Westen verschwunden und Sternbilder wie Löwe und Jungfrau stehen im Meridian. Unsere Erde hat auf ihrem Weg um die Sonne eine Position erreicht, die uns nun einen freien Blick in die Tiefen des Kosmos gewährt. Hier stören kein galaktischer Staub oder Gas den Blick. Das Frühjahr ist also die Zeit der Galaxien. Das soll der Anlass sein, dass wir uns etwas eingehender mit einer der größten Ansammlungen von Galaxien, nämlich dem Virgo-Galaxienhaufe, beschäftigen. Galaxien treten nur selten einzeln in Erscheinung. Man findet sie vielmehr in Strukturen angeordnet, die sich seit dem Beginn der Expansion des Universums unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft gebildet haben. Die sich im Laufe der Zeit gebildeten Galaxienhaufen gehören zu den größten zusammenhängenden Objekten, die man im Universum kennt. Sie können aus bis zu tausenden von Einzelgalaxien bestehen, die sich in einem gemeinsamen Schwerefeld mit unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen. Gleichzeitig haben sich kleinere Galaxiengruppen gebildet, die zusammen mit den größeren Galaxienhaufen die so genannten Galaxiensuperhaufen bilden. Dichteschwankungen nach dem Urknall haben zur Bildung von Orten verschieden starker Gravitation geführt, die zur Bildung dieser Strukturen beigetragen haben. Durchdrungen sind diese Galaxienhaufen von einem dünnen, 107 bis 108 Kelvin heißen Gas, das mit Röntgenteleskopen nachweisbar ist [2]. Der heutige Stand der Erkenntnisse zeigt eine großräumige, schaumartige Verteilung dieser Superhaufen, die uns die Strukturen des Universums veranschaulicht. Die Verlängerung des Hinterteils des Sternbildes Löwe in süd-östliche Richtung um ca. 10° führt uns recht genau in das Zentrum des Virgohaufens. Der Virgo-Galaxienhaufen dehnt sich dort über ein Gebiet von etwa acht Grad in der Jungfrau und dem Haar der Berenice aus (Abb. 1). Er ist etwa 60 Millionen Lichtjahre von uns entfernt [1] und beheimatet mehr als 2500 Einzelgalaxien. Die Galaxien des Virgohaufens, die des benachbarten Coma-Galaxienhaufens, die rund dreißig Mitglieder der Lokalen Gruppe, zu der auch unsere Milchstraße und die Andromedagalaxie gehören, und einige kleinere Sternsysteme bilden zusammen eine riesige Ansammlung von Galaxien. Dabei ist es erwiesen, dass zwischen den einzelnen Systemen gravitative Kräfte wirken. Das gesamte beschriebene System wird der Lokale Superhaufen genannt. Charles
Messier war es, der im Februar 1771 die ersten Galaxien des Virgohaufens
entdeckte. Man weiß heute, dass es sich um die elliptische Riesengalaxie M49
handelte, die Messier als erstes in seinen Katalog eintrug. Im März folgte die
Riesengalaxie M87 (bekannt auch als Virgo A). Insgesamt registrierte Messier 16
Galaxien des Virgohaufens: M49, M58, M59, M60, M61, M84, M85, M86, M87, M88,
M89, M90, M91, M98, M99, und M100. „Das Sternbild Jungfrau und speziell sein nördlicher Teil ist eines der Sternbilder, das die meisten Nebel beinhaltet. Der Katalog beinhaltet 13, die bestimmt wurden, nämlich die Nummern 49, 58, 59, 60, 61, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90 und 91. All diese Nebel scheinen keine Sterne zu beinhalten und können bei gutem Wetter und während des Meridiandurchgangs gesehen werden. Auf die meisten dieser Nebel wurde ich von Herrn Méchain aufmerksam gemacht."
Messier erkannte damals, dass diese neu entdeckten Nebel eine Gruppe bilden. Dass es sich um Sternsysteme außerhalb unserer Milchstraße handelt, konnte er natürlich nicht wissen. Erst durch die Beobachtungen Edwin Hubbles in der Andromedagalaxie war es möglich geworden, Einzelsterne außerhalb unserer Milchstraße nachzuweisen. Der Virgohaufen besteht im Wesentlichen aus Spiralgalaxien und elliptischen Galaxien. Dabei bilden die Riesengalaxien mehrere gemeinsame Zentren. Da Gezeitenkräfte im Innern des Virgohaufens die Spiralstruktur der Galaxien zerstören können, befinden sich die großen elliptischen Galaxien in den Zentralbereichen, während die Spiralgalaxien deutlich vermehrt in den Außenbereichen zu finden sind. Ein weiterer Grund für die Häufung großer elliptischer Galaxien im Zentrum ist die generell größere Dichte der Galaxien zum Zentrum hin. Hier kommt es naturgemäß viel leichter zu Kollisionen zwischen einzelnen Galaxien, wobei sich die Spiralstruktur in der Regel auflöst. Der Zentralbereich wird von den großen elliptischen Riesengalaxien M49, M60 und M87 gebildet, ohne dass ein eindeutiges Zentrum erkennbar ist. Diese drei Riesengalaxien stellen jeweils den Mittelpunkt dreier Untergruppen dar: im Zentralbereich Haufen A um M87, im Süden Haufen B um M49 und im Osten Haufen C um M60. Sehr auffällig im Zentralbereich sind auch die beiden großen elliptischen Galaxien M84 und M86. Sie bilden den westlichen Anfang einer ganzen Anordnung von hellen Galaxien, die sich in einem geschwungenen Bogen nach Nordosten aneinander reihen, wobei das nordöstliche Ende von M88 markiert wird. Diese Aneinanderreihung wurde nach ihrem Entdecker Markarians Galaxienkette benannt (Abb. 2 / 3). Nur 24 Bogenminuten östlich von M86 findet man die beiden wechselwirkenden Galaxien NGC 4438 und die kleinere NGC 4435. (Abb. 4) An diesen beiden Galaxien werden die gravitativen Kräfte, die zwischen beiden Objekten wirken, besonders deutlich. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass es von NGC 4438 aus eine Materiebrücke auch zur benachbarten elliptischen Galaxie M86 gibt. Sehr tiefe Hα-Aufnahmen mit dem Vier-Meter Mayall-Teleskop auf dem Kitt Peak in Arizona konnten Wolken ionisierten Wasserstoffs zwischen M86 und NGC 4438 nachweisen. Wenn man schon kein eindeutiges Zentrum im Virgohaufen definieren kann, so gibt es dort dennoch eine alles dominierende Galaxie. Es ist die riesige, elliptische Galaxie M87. Berühmtheit hat diese Galaxie durch eine Aufnahme des Hubble-Space-Telskops (HST) erlangt. Dabei ist es der deutlich ausgeprägte Jet, der in keiner anderen Galaxie so deutlich zutage tritt und für die Wissenschaft von besonderer Bedeutung ist (Abb. 5). Im Zentrum dieser Riesengalaxie befindet sich ein superschweres Schwarzes Loch. Um dieses Schwarze Loch herum rotiert eine Plasmascheibe (Akkretionsscheibe) mit Temperaturen von mehreren Millionen Kelvin. Die Rotation dieser Scheibe und intensive Strahlung sorgen für eine Ladungstrennung der Elementarteilchen, eine elektrische Spannung wird aufgebaut, so dass elektrische Ströme fließen können. Die daraus resultierenden Magnetfelder bündeln die heiße Materie und schleudern sie in Form eines Strahls zu beiden Seiten der Drehebene heraus. 6500 Lichtjahre weit erstreckt sich der sichtbare, fast Lichtgeschwindigkeit erreichende Teilchenstrom von seiner Quelle aus in den Raum. Tatsächlich reichen solche Jets aber deutlich weiter, bis zu 300 000 Lichtjahre sind schon ermittelt worden. Der erste Nachweis dieses Jets wurde übrigens von Herber Curtis erbracht. Im Jahre 1918 konnte er auf tiefen Aufnahmen von M87 diesen Jet erkennen. Die von uns abgewandte Seite dieses Strahls können wir nicht im sichtbaren Licht beobachten. Erst mit Hilfe von Radio- und Röntgenteleskopen ist es möglich, die Auswirkungen des von uns abgewandten Jets nachzuweisen [5]. Dass es diesen schon länger vermuteten Jet auch auf der uns abgewandten Seite von M87 gibt, konnte aber erst durch den Zusammenschluss mehrer Radioteleskope erkannt werden. Dazu wurden verschiedene Radioteleskope in den USA und Europa so vernetzt, dass die damit gewonnenen Aufnahmen 50-mal schärfer wurden, als Aufnahmen mit dem HST. Wegen der starken Abstrahlung von Radiowellen wird M87 auch “Virgo A“ genannt. M87 ist die stärkste Radioquelle am Himmel. Einen weiteren Nachweis der großen Aktivitäten im Innern dieser Riesengalaxie liefert eine Aufnahme des Röntgenteleskops Chandra (Abb. 6). Auch wir Amateure stehen nicht ganz auf verlorenem Posten, wenn es um den Nachweis dieses Jets geht. Die Aufnahme des Autors (Abb. 7) zeigt diesen Jet deutlich. Und noch etwas zeigt diese Aufnahme: bei genauer Betrachtung falle winzige, helle, die gesamte Umgebung der Galaxie umhüllende Bereiche auf. Es sind Kugelsternhaufen, wie wir sie auch aus unserer Heimatgalaxie kennen. Während man etwa 120 Kugelsternhaufen in der Milchstraße nachweisen konnte, beziffert man die Anzahl für M87 auf 16000, ein weiterer Hinweis auf die ungeheure Masse dieser Galaxie. Der Vergleich zu unserer Milchstraße macht es deutlich: ca. 200 Milliarden Sonnenmassen beziffert man für die Milchstraße, bei M87 geht man von ca. 2,7 Billionen Sonnenmassen aus. Auch wenn solche Zahlen immer mit etwas Vorsicht genannt werden sollten, so veranschaulichen sie uns aber dennoch die Größenverhältnisse. 1994 konnten mit Hilfe des HST in einigen Galaxien des Virgohaufens Cepheiden bestimmt werden. Die Perioden-Helligkeits-Beziehung ermöglichte Rückschlüsse auf die Entfernung des Virgohaufens, die mit 60 Millionen Lichtjahren angegeben wird. Der ungefähre Durchmesser des Galaxienhaufens beträgt daher etwa 9 Millionen Lichtjahre. Die Messungen der Bewegung der Haufenmitglieder lässt auf die Masse der dort versammelten Materie schließen (Virialsatz, Pekuliargeschwindigkeiten) [4]. Ermittelt man die Gesamtmasse der Haufenmitglieder mit Hilfe deren Leuchtkraft, ergibt sich ein Wert, der um ein Vielfaches unter dem Wert liegt, der mit Hilfe der Bewegungen ermittelt wurde. Diese Tatsache gilt als einer der ersten Hinweise auf das Vorhandensein der so genannten dunklen Materie [6]. Wir Amateur-Beobachter kommen ebenfalls auf unsere Kosten. Die vielen kleinen, aber hellen Galaxien sind schon mit Öffnungen von 8“ gut zu beobachten. Die Fülle an Galaxien lässt einen manchmal sogar die Orientierung verlieren. Unabdingbare Voraussetzung ist natürlich ein dunkler Himmel. Eine Grenzgröße von möglichst 6,0 mag, also einem dunklen Landhimmel, sollte schon vorhanden sein. Dann aber steht einem Ausflug in unsere, in diesem Fall etwas weiter entfernte galaktische Nachbarschaft, nichts mehr im Wege.
Quellen: [2] http://www.ita.uni-heidelberg.de/~msb/clusters/index_gr.html [3] http://www.seds.org/messier/more/virgo.html [4] Virialsatz der Himmelsmechanikà http://de.wikipedia.org/wiki/Virialsatz [4] Pekuliargeschwindigkeitenà http://de.wikipedia.org/wiki/Pekuliargeschwindigkeit [5] http://www.astronomie.de/fachbereiche/radioastronomie/mpifr/2007/m-87/index.htm [6] http://www.mpifr-bonn.mpg.de/public/Dir_Bjoern/DMDE.html
Weitere Quelle:
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