Stephans Quintett Info:
Stephans Quintett @Gerald Willems Die große Zeit der Galaxien ist fraglos das Frühjahr. Zu keiner anderen Zeit stehen uns so viele Galaxien und Galaxienhaufen zur Beobachtung zur Verfügung. Das liegt an der Stellung der Erde in Bezug auf die Lage unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße. Im Frühjahr behindern kaum Staub und Gas den Blick in die Tiefen. Aber auch der Herbst, eine Zeit, in der sich die Erde ebenfalls in einer der Milchstraße abgewandten Position befindet, lässt uns einen ungestörten Blick in die Tiefen des Kosmos zu. Jetzt ist das große Viereck des Pegasus eines der bestimmenden Sternbilder im Meridian. Fast genau 4° nordnordwestlich von Eta Pegasi finden wir zahlreiche Galaxien und Galaxiengruppen. Berühmtheit hat dabei eine Ansammlung von fünf Galaxien erlangt, nämlich das nach seinem Entdecker benannte Stephans Quintett. Edouard M. Stephan hatte diese Gruppe von fünf Galaxien bereits 1876 beobacht, sah aber selber nur vier Galaxien (er konnte die beiden Komponenten von NGC 7318 nicht auflösen). Stephan war Franzose und von 1866 bis 1907 Direktor des Observatoriums in Marseille [1a]. Stephans Quintett war eine der ersten kompakten Gruppen von Galaxien, die bis dahin überhaupt gefunden worden waren. Und es war die erste Galaxiengruppe, bei der man annehmen konnte, dass sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig beeinflussen – wir kommen noch darauf zu sprechen. Als Beobachtungsinstrument stand Stephan der 80-cm Foucault-Reflektor des Observatoriums von Marseille zur Verfügung [1b]. Wie der Name Quintett vermuten lässt, handelt es sich bei dieser Galaxiengruppe um eine Anordnung von fünf einzelnen Galaxien. Sämtliche Mitglieder dieser kompakten Gruppe beeinflussen sich deutlich. So wie Stephan das Quintett beschrieb, wird diese Gruppe aus NGC 7317, NGC 7318A, NGC 7318B, NGC 7319 und NGC 7320 gebildet. Edouard Stephan konnte nicht wissen, dass es sich bei NGC 7320 aber um eine Vordergrund-Galaxie handelt. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Radialgeschwindigkeit der NGC 7320 deutlich geringer ist als die der vier anderen Mitglieder. Für NGC 7320 wurden 800 km/s ermittelt, für alle anderen Mitglieder aber um 6500 km/s [2]. Dass wir dennoch von einem Quintett sprechen dürfen, liegt an der nur ca. drei Bogenminuten östlich gelegenen NGC 7320C, die mit einer Radialgeschwindigkeit von 6000 km/s eindeutig zu der Gruppierung hinzuzurechnen ist. Die Entfernung von Stephans Quintett ist mit ca. 270 Mio. Lj bis 300 Mio. Lj ermittelt worden. NGC 7320, die sich wie gerade erwähnt im Vordergrund befindet, wird mit einer Entfernung von nur 35 Mio. Lj angegeben. Mit Helligkeitswerten zwischen 12,7 mag und 13,6 mag stellt Stephans Quintett für Profis, wie für Amateure zweifellos eine Herausforderung dar – besonders natürlich für uns Amateure. Die Kompaktheit der Galaxiengruppe ist bemerkenswert. Bis heute konnten Hunderte derartiger kompakter Gruppen entdeckt und katalogisiert werden. Stephans Quintett ist inzwischen zu einem besonders ergiebigen Objekt für die Forschung geworden. Mit allen Optiken, die der Profiastronomie zur Verfügung stehen, wurde Stephans Quintett untersucht. Dabei ergaben sich Erkenntnisse, die als hoch aktuell angesehen werden können. Schon auf lang belichteten Amateur-Aufnahmen wird die Dramatik der Vorgänge innerhalb der Galaxiengruppe deutlich. Die deutlich sichtbaren Gezeitenschweife zeigen, dass die Wechselwirkung innerhalb der Gruppe extrem ausgeprägt ist - sämtliche hier gezeigten Aufnahmen zeigen das. Die gezeigte Hubble-Aufnahme bildet diese Dynamik besonders deutlich ab. Zwischen den Galaxien kommt es zu “Kannibalismus“. Das heißt, hier wird Material in Form von Gas, Staub und ganzen Sternen von einer Galaxie aus einer anderen entrissen, sich einverleibt oder in den intergalaktischen Raum geschleudert. Bei all der Dramatik, die hier abläuft, darf nicht verschwiegen werden, dass genau diese Vorgänge gleichzeitig zahllose neue Sterne entstehen lassen. Mehr als 100 Sternhaufen und verschiedene Zwerg-Galaxien mit Millionen von Sternen konnten mit Hilfe der “Hubble Wide Field and Planetary Camera 2“ nachgewiesen werden. Dabei sind viele der nachgewiesenen Sternhaufen weit außerhalb der Galaxien entstanden [3]. Das besonders interessante an Stephans Quintett ist, dass diese Vorgänge als typisch für die Entwicklung im frühen Universum angesehen werden können. Die Farbanalyse der Sternhaufen lässt Rückschlüsse auf verschiedene Epochen der Sternbildung zu. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass rot erscheinende Sternhaufen älter sind als blaue. Die Summe der Farben in den Sternhaufen kann somit auf die Historie der einzelnen Vorgänge hinweisen. Eine Untersuchung durch ein Team der “Pennsylvania State University“ hat sich speziell dem Alter der in Stephans Quintett vorgefundenen Sternhaufen gewidmet. Dabei haben Farbanalysen ergeben, dass das Alter der Sternhaufen enorme Zeitspannen umfasst. Man hat drei Regionen mit besonders ausgeprägter Sternentstehungsrate ausmachen können, nämlich in dem ausgedehnten Gezeitenschweif von NGC 7319, dem deutlich erkennbaren elongierten Spiralarm von NGC 7318A und B und in der nördlichen Region dieser Galaxien, die "northern starburst region“ genannt wird. Das Alter der dort untersuchten Sternhaufen reicht von 2 Millionen Jahren bis 1 Milliarde Jahre [3] und erhärtet die Annahme, dass es mehrere Begegnungen der Haufenmitglieder in der Vergangenheit gegeben haben muss. Besonderes Interesse hat der nach Norden gerichtete Spiralarm der NGC 7318B erregt. Das Team der Forscher fand Nachweise, dass es dort vor nur 20 Millionen Jahre Sternentstehung einsetzte und über einige weitere Millionen Jahre fortgesetzt wurde. Der jüngste dort gefundene Sternhaufen ist mit seinem Alter von ca. 2 Millionen Jahren der “Benjamin“ in diesem Gebiet. Mit dem Weltraumteleskop Spitzer konnten für unsere Augen verborgene Auswirkungen von Stoßwellen aufgenommen werden. Für die Mitarbeiter des “Spitzer Science Center“ ist dies eine Möglichkeit, die Auswirkungen galaktischer Zusammenstöße zu untersuchen. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Beispiel von einer der stärksten beobachteten Stoßwelle, die je beobachtet wurde [4]. Die vier einzelnen Galaxien der zentralen Region sind hier an einer gewaltigen kosmischen Kollision beteiligt. Die starken, im sichtbaren Licht erkennbaren Verformungen lassen auf schon viel frühere Begegnungen der Galaxien schließen. NGC 7318b bewegt sich offenbar mit besonders hoher Geschwindigkeit und erzeugt dabei eine bogenförmige Stoßfront, die sogar im Röntgenbereich und im Radiowellenbereich beobachtet werden konnte. Die Ausdehnung dieser Stoßfront ist größer als unsere Milchstraße mit ihren 100 000 Lichtjahren [4]. Stoßwellen entstehen, wenn sich Objekte mit Geschwindigkeiten oberhalb der in dem jeweiligen Medium üblichen Schallgeschwindigkeit bewegen. Man kann es mit dem Überschallknall der Kampfjäger vergleichen. Dr. Philip Appleton, vom “Spitzer Science Center“ sagt, dass sich NGC 7318b mit der 100-fachen Schallgeschwindigkeit innerhalb des Intergalaktischen Mediums bewegen müsse. Es sind vor allem Wasserstoffmoleküle, die bei der Kollision ionisiert werden. Mit dem verwendeten Spektrometer wurde eine ungewöhnlich breite und “verschmierte“ Emissionslinie für heißen Wasserstoff gefunden. Es soll die breiteste Wasserstofflinie sein, die jemals registriert wurde [4]. Eine aktuelle Untersuchung der Galaxiengruppe mit Hilfe des Weltraumteleskops Chandra erhärtet und erweitert die bereits gemachten Erkenntnisse. Es konnte aus Stephans Quintett intensive Röntgenstrahlung empfangen werden. Dabei wurde die intensive Röntgenstrahlung ebenfalls innerhalb der erwähnten bogenförmigen Stoßfront lokalisiert. Aber auch das gesamte Gebiet um Stephans Quintett herum emittiert Röntgenstrahlung in der Form eines das Gebiet umgebenden Halos. Man schließt auch daraus, dass es bereits weit zurück reichende Begegnungen der einzelnen Galaxien gegeben haben muss. Auch diese Erkenntnisse erhärten also die mit Hilfe der IR-Teleskops Spitzer gemachten Erkenntnisse. Es wird angenommen, dass NGC 7318a und NGC 7381b sich bereits einige Male durchdrungen haben, und es wird weiter angenommen, dass beide Galaxien schon bald miteinander verschmelzen werden [5]. Auch um viele elliptische Galaxien anderer Regionen hat man inzwischen derartige Halos gefunden. Stephans Quintett kann somit ein anschauliches Beispiel sein, wie bei der Vereinigung verschiedener Spiralgalaxien eine einzige große elliptische Galaxie entstehen kann. Mit Hilfe der Chandra-Aufnahmen konnten noch weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Es sind nicht nur neue, junge Sterne bei den Begegnungen entstanden, sondern bedingt durch die hohe Sternentstehungsrate auch einige massereiche Sterne mit entsprechend kurzen Lebenszeiten. Dabei entstanden Supernovae, deren Stoßfronten Lichtemission erzeugen. Supernovae aus massereichen Sternen haben wiederum zur Bildung Schwarzer Löcher und Neutronensternen geführt. Akkretionsscheiben Schwarzer Löcher erzeugen durch starke elektrische Ströme Magnetfelder, die ihrerseits Jets hervorbringen, welche an den Polen herausschießen. Auch diese Jets treten durch Röntgenstrahlung in Erscheinung, wie sie in Stephans Quintett mit Chandra aufgenommen werden konnte [6]. Im frühen Universum verschmolzen Galaxien wesentlich häufiger als gegenwärtig. Stephans Quintett ist somit ein anschauliches Beispiel für die Entstehung großer, elliptischer Galaxien. Auch war die Galaxiendichte in früheren Zeiten höher als heute. Man kann die Vorgänge dieser benachbarten Galaxiengruppe auch als Modell für die Entwicklungen des Universums vor ca. zehn Milliarden Jahre heranziehen [4]. Quellen: [1a] Wolfgang Steinicke: Nebel und Sternhaufen- Geschichte ihrer Entdeckung [1b] http://www.spacetelescope.org/images/html/heic0910i.html [2] http://www.noao.edu/image_gallery/html/im0414.html [3] http://hubblesite.org/newscenter/archive/releases/2001/22/text/ [4] http://www.spitzer.caltech.edu/features/articles/20060303.shtml [5] http://www.astronews.com/news/artikel/2009/07/0907-026.shtml [6] Chandra zeigt Hitze kollidierender Galaxien, Ralf Strobel, SuW10/09/S16
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